Wenn die Straße zur Falle wird: Georgiens Polizei, KI-Kameras und der digitale Autoritarismus im Alltag
- T. Kartliani
- vor 14 Stunden
- 2 Min. Lesezeit
Willkommen in Georgien, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten – zumindest wenn es darum geht, Bürger:innen für das Überqueren der Straße zur falschen Zeit oder am falschen Ort zur Kasse zu bitten. Die georgische Regierung hat sich offenbar das ehrgeizige Ziel gesetzt, selbst Banalitäten in ein Lehrbuchbeispiel autoritärer Kontrolle zu verwandeln – natürlich mit einem Hauch „digitaler Innovation“.
Von der Mitternachtsdrohung zur KI-Überwachung
Noch vor wenigen Monaten war die Vorgehensweise der Polizei einfach, aber effektiv – und zutiefst einschüchternd: Wer eine Straße an einem unerwünschten Ort oder zu einem unerwünschten Zeitpunkt überquerte, konnte sich auf eine nächtliche Überraschung freuen. Polizeibeamte kamen höchstpersönlich – gerne auch mal frühmorgens –, klingelten an der Haustür und übergaben den Strafzettel von Hand. Man stelle sich das vor: eine Szene wie aus einem schlechten Thriller – nur ohne Plot, aber mit echter Drohkulisse.
Ziel war offensichtlich nicht nur die Ahndung eines vermeintlichen Verkehrsverstoßes, sondern auch das Erzeugen eines maximalen Einschüchterungseffekts. Was wäre der georgische Staat schließlich ohne seine kreativen Methoden zur Disziplinierung der Bevölkerung?
Der „digitale Fortschritt“ made in China
Doch wie so vieles in Georgien hat auch diese Form der staatlichen Schikane ein Update bekommen. Dank der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit autoritär geführten Staaten – hallo, Peking! – hat Georgien inzwischen auf ein System aus KI-gestützten Überwachungskameras umgestellt. Die Kameras, hergestellt in China, erkennen Gesichter, analysieren Bewegungsmuster und gleichen sie in Echtzeit mit staatlichen Datenbanken ab. So weiß das System nicht nur, wer wann wo über die Straße geht, sondern auch, wo er wohnt – und verschickt ganz effizient eine automatisierte SMS mit der Zahlungsaufforderung. Ganz ohne menschliches Eingreifen. Datenschutz? Ein westliches Konzept, das man in Tbilisi bestenfalls aus EU-Dokumenten kennt – und selbst dort nur aus den Fußnoten.
Der georgische Staat präsentiert das Ganze natürlich als Fortschritt: Weniger Papierkram, weniger Personalaufwand, mehr Effizienz! Dass diese Effizienz in Wahrheit in ein perfektes Kontrollregime mündet, das Orwell neidisch gemacht hätte, wird dabei geflissentlich übersehen – oder schlichtweg ignoriert.
Der große Vergleich: Georgien – China – EU
In China ist ein derartiges System längst Alltag. Doch dort weiß zumindest jede:r, dass der Staat alles sieht – ganz offen, ohne Scham. Georgien hingegen befindet sich in einem merkwürdigen Zwischenstadium: Offiziell auf EU-Kurs, inoffiziell auf einem High-Speed-Highway in Richtung digitales Polizeistaatentum. Die Kameras mögen aus China stammen, doch der politische Wille zur Kontrolle ist hausgemacht.
Fazit: Willkommen im Smarten Autoritarismus
Was Georgien hier aufbaut, ist kein „moderner Staat“ – es ist ein Labor für autoritäre Überwachung im digitalen Zeitalter. Wer heute denkt, dass es nur um eine kleine Geldstrafe fürs Überqueren einer Straße geht, sollte sich fragen, was dieses System morgen kann – und gegen wen es eingesetzt wird.
Der Einsatz chinesischer Überwachungstechnologie durch eine Regierung, die zunehmend repressiv gegen Opposition, NGOs und kritische Bürger:innen vorgeht, ist kein Zufall. Es ist eine politische Entscheidung – gegen Demokratie und für Kontrolle. Und wer glaubt, dass eine SMS weniger einschüchternd sei als ein nächtlicher Besuch von Polizisten, hat vermutlich noch nie unter einer Regierung gelebt, die bereit ist, jedes Mittel zur Einschüchterung zu nutzen.
Willkommen im digitalen Georgien 2025 – einem Land, in dem die Straße nicht nur zum Ziel führt, sondern auch zur nächsten Strafe.
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