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Führen heißt kämpfen? Oder legitimieren?

Hans Gutbrod ist kein Politiker. Er ist Autor, Wissenschaftler, langjähriger Beobachter der georgischen Gesellschaft und jemand, der sich mit fundierten Texten regelmäßig in die öffentliche Debatte einbringt. Und gerade deshalb lohnt es sich, seine jüngste Analyse zur Kommunalwahl 2025 nicht einfach zu übergehen – sondern kritisch zu hinterfragen.

In seinem Text „Demonstrating Leadership“ argumentiert Gutbrod, dass die Opposition an den lokalen Wahlen teilnehmen sollte – selbst wenn sie unfrei und manipuliert ablaufen. Die Kernaussage: Wer führen will, muss kämpfen – auch unter unfairen Bedingungen.

Das klingt mutig. Es klingt kämpferisch. Und es klingt – leider – auch gefährlich naiv.


Der Preis der Teilnahme: Wenn Taktik die Legitimation ersetzt

Gutbrods Text ist strategisch durchdacht. Er will Mut machen, Hoffnung geben, die Politik wieder auf lokale Fragen zurückführen. Seine Argumentation baut auf Bürgernähe, Widerstandskraft und Dialog mit den Menschen.

Doch in einem politischen Kontext, in dem Regimekritik kriminalisiert, Zivilgesellschaft unter Druck und Wahlen zur Farce geworden sind, wirkt der Aufruf zur Wahlteilnahme wie ein Aufruf zur Selbsttäuschung.

Denn: Wer mitspielt, akzeptiert – ob gewollt oder nicht – die Spielregeln. Um zu bestätigen, das sich systematisch jeglicher demokratischer Kontrolle entzieht?


Bürgernähe ersetzt keine Systemkritik

Gutbrod plädiert dafür, sich mit den Bürgern vor Ort zu solidarisieren, ihre Alltagsprobleme ernst zu nehmen, Busfahrpläne zu diskutieren und lokale Missstände anzuprangern. Das ist richtig – aber nicht ausreichend, wenn das gesamte politische System auf Repression, Einschüchterung und Machtmissbrauch fußt.

Man kann in Gldani über Schlaglöcher reden – aber nicht, während in Rustavi Menschen wegen kritischer Facebook-Posts in Untersuchungshaft sitzen.

Politische Glaubwürdigkeit entsteht nicht dadurch, dass man sich trotz allem beteiligt, sondern dadurch, dass man den Mut hat, die Bedingungen der Beteiligung zu hinterfragen.


Die strategische Gefahr: Opposition als Feigenblatt

Gutbrod warnt vor dem politischen Vakuum, das ein Boykott hinterlassen könnte – das sei die Gelegenheit für Alt-Info und andere System-Marionetten, sich als Opposition zu inszenieren. Das ist korrekt.

Aber eine viel größere Gefahr besteht darin, dass eine ehrliche Opposition zur Legitimationshilfe für ein illegitimes System wird – weil sie sich an einer Wahl beteiligt, die weder fair noch frei ist.

Was bleibt dann? Ein Parlament voller Sitze – und eine demokratische Fassade, die vom Westen wohlwollend abgenickt wird.


Hans Gutbrods Argument ist wertvoll – gerade weil es widersprochen werden muss

Gutbrods Beitrag ist wichtig. Nicht, weil er recht hat – sondern weil er ein Dilemma beschreibt, das keine einfachen Lösungen kennt.

Seine Stimme ist nicht die eines Parteistrategen, sondern die eines Denkers, der an das Gespräch glaubt. Und genau dieses Gespräch muss weitergehen – auch im Widerspruch.

Denn Demokratie bedeutet eben nicht nur, sich zur Wahl zu stellen. Sie bedeutet auch, nein zu sagen, wenn der Wahlprozess zur Inszenierung wird.


Fazit: Wer nicht zum Boykott bereit ist, hat sich schon zu viel gefallen lassen

Gutbrod stellt eine berechtigte Frage: „Wer steht im Mittelpunkt – der Politiker, der kämpfen will, oder der Diktator, der anderen das Spiel diktiert?“Die Gegenfrage ist ebenso berechtigt: Kann man wirklich „für das Volk kämpfen“, indem man sich in einem undemokratischen Prozess zur Staffage macht?

Die demokratische Bewegung in Georgien braucht Führung, ja. Aber keine Führung um jeden Preis – sondern solche, die weiß, wann Standhaftigkeit mehr Wirkung hat als symbolischer Widerstand im falschen Spielfeld.

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