Big Brother auf Rustaweli
- Nina Tifliska
- vor 5 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Massive Überwachung von Demonstrierenden – und Georgiens Datenschutzbehörde schaut betreten zur Seite
Während sich Georgiens Regierung gerne öffentlich zur „europäischen Zukunft“ des Landes bekennt, schreitet sie im Alltag in eine ganz andere Richtung – autoritär, repressiv und datenhungrig. Die jüngsten Enthüllungen über die systematische, technikgestützte Überwachung von Demonstrierenden zeichnen ein Bild, das man eher aus autoritären Staaten kennt – nicht aus einem Land mit EU-Ambitionen.
Doch was macht die georgische Datenschutzbehörde, also die Institution, die eigentlich die Persönlichkeitsrechte schützen sollte? Nun ja – sie reagiert mit einer Mischung aus Schweigen, Ausflüchten und erschütternder Passivität.
Politisch motivierte Überwachung – ein orchestriertes Projekt
Die Proteste gegen das sogenannte „Agentengesetz“ nach dem 28. November 2024 waren nicht nur Ausdruck demokratischer Reife – sie wurden auch zur Zielscheibe systematischer Repression. Der Plan ist so durchschaubar wie zynisch:Zuerst identifiziere die Protestierenden, dann analysiere ihre Schwächen, schließlich verfolge sie individuell – juristisch, finanziell oder sozial.
Möglich wird das nicht etwa durch „klassische Polizeiarbeit“, sondern durch den massiven Ausbau der Videoüberwachung, Gesichtserkennung und Analyseinfrastruktur. Insbesondere in Tiflis rund um das Parlament ist ein Überwachungsnetz entstanden, das selbst Orwell den Atem verschlagen hätte. Über 40 Hochleistungskameras – viele davon steuerbar, zoombar und vermutlich mit Gesichtserkennung ausgerüstet – spähen inzwischen in jede Bewegung auf der Rustaweli-Achse.
Gesichtserkennung als politisches Instrument
Offiziell geht es natürlich um „Sicherheit“. Inoffiziell aber ist klar: Diese Infrastruktur dient nicht dem Schutz vor Kriminalität, sondern der gezielten Identifikation von Regierungskritiker:innen. Wer protestiert, riskiert heute in Georgien nicht nur Tränengas – sondern eine digitale Akte, in der gespeichert wird, wann, wo, mit wem und wie oft man auf der Straße war.
Und was folgt darauf? Finanzielle Repression, gestützt durch legislative Änderungen, die direkt aus einem autoritären Drehbuch stammen:
Bußgelder für die Blockade von Straßen wurden von 500 auf 5000 Lari erhöht.
Für Organisator:innen können sogar bis zu 15.000 Lari anfallen.
Die maximale Dauer der Administrativhaft wurde vervierfacht – von 15 auf 60 Tage.
Das Tragen von Masken oder anderen Mitteln zur Anonymisierung wurde pauschal verboten.
Und die Datenschutzbehörde? Wartet wohl noch auf eine EU-Erinnerung
Man könnte meinen, dass bei solchen Entwicklungen eine staatliche Datenschutzaufsicht – in Georgien das „Personal Data Protection Service“ – Alarm schlagen müsste. Aber: Fehlanzeige.
Obwohl das Ausmaß der Überwachung beispiellos ist, obwohl Unternehmen wie Dahua (deren Kameras laut Berichten großflächig im Einsatz sind) in westlichen Staaten als Sicherheitsrisiko gelten, unterlässt es die georgische Datenschutzbehörde, aktiv zu ermitteln, öffentlich zu informieren oder klare Maßstäbe zu setzen.
Was wir erleben, ist der Offenbarungseid eines Staates, der sich selbst als europäisch verkaufen will, aber beim Thema Datenschutz auf chinesischem Niveau operiert – technologisch wie politisch.
Kritik aus Europa: Venedig-Kommission und ODIHR schlagen Alarm
Dass das alles nicht unbemerkt bleibt, zeigen die jüngsten Einschätzungen der Venedig-Kommission und der OSZE/ODIHR. Beide Institutionen kritisierten:
Das Fehlen jeglicher Proportionalität bei Strafen,
Die Einführung vager und missbrauchsanfälliger Begriffe im Versammlungsrecht,
Das Verfahren der Gesetzesänderungen – ohne öffentliche Debatte, ohne Beteiligung der Opposition, im Eilverfahren.
Die pauschale Maskenverbot-Regelung, die Repressionsschraube im Verwaltungsrecht – all das wurde als unvereinbar mit den Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingestuft.
Kurz: Was in Georgien derzeit Gesetz wird, hätte in einem EU-Beitrittskandidatenstaat gar nicht erst diskutiert werden dürfen.
Fazit: Von der Datenschutzbehörde zur Datensammelbehörde?
Die georgische Regierung setzt auf Angst, Kontrolle und digitale Einschüchterung. Der technologische Apparat zur Überwachung politisch aktiver Bürger:innen wächst – und kein einziges staatliches Organ scheint willens, die Bevölkerung davor zu schützen.
Was bleibt, ist der Eindruck eines Staates, der nicht nur die Freiheitsrechte der Bürger:innen demontiert, sondern sich zugleich einen institutionellen Feigenblatt-Apparat leistet, der Grundrechte zwar im Logo trägt – aber nicht im Handeln.
Tiflis24 – Wo Datenschutz keine Farce ist. Für ein Georgien, das seine Bürger nicht verfolgt – sondern schützt.
Commentaires